Impuls zum 5. September 2021
Von Dr. Stefan Voges, Geistlicher Beirat von pax christi Aachen
Schöpfungszeit
Am 1. September hat die ökumenische Schöpfungszeit begonnen. Diese Zeit im Kirchen- und Kalenderjahr beginnt am ersten Tag des orthodoxen Kirchenjahres und endet am 4. Oktober, dem Fest des heiligen Franziskus. Die Schöpfungszeit ist eine Einladung, sich der Verbundenheit mit der Erde bewusst zu werden und neu den Frieden mit allem Lebendigen zu suchen und dafür zu beten.
Verbindender Atem
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ja, Übungen, um sich immer wieder und immer mehr die Verbundenheit mit der ganzen Schöpfung bewusst zu machen: bewusst ein Tier oder eine Pflanze betrachten, auf die Geräusche des Waldes lauschen, die Erde berühren. Eine bewegende, belebende und innerlich tief berührende Weise ist es, bewusst zu atmen: Wenn ich ein- und ausatme, wenn der Atem durch meinen Körper fließt, werde ich mir des Lebensstromes bewusst, der alles Lebendige miteinander verbindet. So atme ich mich gleichsam hinein in das Leben und in den Lobpreis Gottes, wie ihn der 150. Psalm singt:
Ewiger hier nun,
der uns Atem gibt,
gesegnet du.
Um Leben, das weitergeht,
um Tage von morgen,
Gott undenkbar
über alle Mächte dieser Welt,
du Gott allein
auf Geigen, Gitarren,
Tasten, Harfen, Saxophonen, Flöten
mit Stimmen: heisere, klare,
hohe, tiefe.
Ewiger hier nun,
der uns Atem gibt,
gesegnet du.
(Psalm 150, in: Huub Oosterhuis, Psalmen, Herder: Freiburg i. Br. 2014, S. 305)
Schöpfung verbindet
Wie der Atem uns mit allem Lebendigen verbindet, so verbindet uns die Sorge um die Schöpfung mit allen Menschen guten Willens. So erzählt es das Evangelium:
Jesus verließ das Gebiet von Tyrus wieder und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in das Gebiet der Dekapolis. Da brachten sie zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, er möge ihm die Hand auflegen. Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm: Effata!, das heißt: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden. Jesus verbot ihnen, jemandem davon zu erzählen. Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr verkündeten sie es. Sie staunten über alle Maßen und sagten: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen. (Mk 7,31-37)
Jesus geht mitten in das Gebiet der Dekapolis – ein Zusammenschluss von zehn hellenistischen Städten –, das die Juden als Fremdkörper betrachteten. Auf dem vom Evangelisten Markus beschriebenen Weg begibt Jesus sich also bewusst ins Land der Heiden. Dort heilt er einen Taubstummen, und die, die es erleben, geraten ins Staunen über die schöpferische Vollmacht Jesu. Wie er es im Markusevangelium häufiger tut, verbietet Jesus ihnen, darüber zu sprechen. Aber sie halten sich nicht daran und loben Gott mit einem bemerkenswerten Satz: „Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.“ Der zweite Satz greift Worte des Propheten Jesaja auf, die erste Lesung des heutigen Sonntags (Jes 35,4-7a). Der erste Satz hingegen spielt auf die Schöpfungserzählung im Buch Genesis an: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31). Die Anderen, in biblischer Sprache „die Heiden“, kommen, so kann man das Evangelium verstehen, zum Glauben an den einen Schöpfergott. Die Schöpfung, der eine Ursprung, verbindet.
Angesichts der zerstörerischen Gewalt der Elemente – die Bilder der Flutkatastrophe sind noch nicht vergessen – fällt es nicht leicht, immer an das Gute der Schöpfung zu glauben. Um diesen Glauben müssen wir auch ringen. Aber im Glauben daran, dass die Schöpfung zuerst und zutiefst gut gemacht und gemeint ist, können wir uns mit anderen religiösen und nicht-religiösen Traditionen verbinden, um gemeinsam für die Bewahrung der Schöpfung zu beten und zu arbeiten.
Gebet für die Erde
Allmächtiger Gott,
der du in der Weite des Alls gegenwärtig bist
und im kleinsten deiner Geschöpfe,
der du alles, was existiert,
mit deiner Zärtlichkeit umschließt,
gieße uns die Kraft deiner Liebe ein,
damit wir das Leben und die Schönheit hüten.
Überflute uns mit Frieden,
damit wir als Brüder und Schwestern leben
und niemandem schaden.
Gott der Armen,
hilf uns,
die Verlassenen und Vergessenen dieser Erde,
die so wertvoll sind in deinen Augen,
zu retten.
Heile unser Leben,
damit wir Beschützer der Welt sind
und nicht Räuber,
damit wir Schönheit säen
und nicht Verseuchung und Zerstörung.
Rühre die Herzen derer an,
die nur Gewinn suchen
auf Kosten der Armen und der Erde.
Lehre uns,
den Wert von allen Dingen zu entdecken
und voll Bewunderung zu betrachten;
zu erkennen, dass wir zutiefst verbunden sind
mit allen Geschöpfen
auf unserem Weg zu deinem unendlichen Licht.
Danke, dass du alle Tage bei uns bist.
Ermutige uns bitte in unserem Kampf
für Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.
Schlussgebet aus der Enzyklika „Laudato si – Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ (2015) von Papst Franziskus